Nachdem ich eine NAD M22 Digitalendstufe mit meiner Graaf GM100 Röhrenendstufe verglichen habe, möchte ich hier meine Erfahrungen dazu kundtun. Die neuen Digitalverstärker mit Hypex und Purifi Modulen werden hoch gelobt, also musste ich das auch in meinem Hörraum austesten. Die Messergebnisse von den neuen Digitalverstärkern jedenfalls beeindruckend. Den eigenen Keller mit im Leerlauf der Röhrenendstufe 500 Watt elektrisch zu heizen fand ich auch nicht mehr "zeitgemäß" und ich war auf der Suche nach einem Verstärker mit mehr Leistung.
Um es kurz zu sagen, der Digitalverstärker war eine Enttäuschung - von wegen "Game Changer". Gerade bei der so wichtigen Glaubwürdigkeit / Echtheit von Stimmen und Instrumenten und der Räumlichkeit überhaupt kein Vergleich zu meiner Graaf GM100. Erklären kann ich mir das alles nicht mehr. Ausschließlich höhere harmonische Verzerrungen können ein solch klanglich eindeutig besseres Ergebnis mit dem Röhrenverstärker für mich zumindest nicht erklären. Es muss entscheidende "Parameter" geben die heute noch völlig unbekannt sind und daher auch nicht gemessen werden. Klanglich würde ich vermuten, dass 99 % von Testhörern - außer im Tiefbassbereich - die Graaf klar bevorzugen würden. Ich bin mir sicher, dass wichtige Informationen über die Digitalverstärkung verloren gehen.
Eigentlich hatte ich gehofft von Röhrenverstärkern loszukommen, auch weil insbesondere die Graaf alles andere als einfach ist. Es handelt sich bei der GM100 um ein "abgemildertes" OTL Konzept bei dem die Ausgangsübertrager deutlich einfacher (und damit verlustärmer) ausfallen als bei klassischen Push-Pull Röhrenverstärkern. Meiner Meinung nach eine technisch hervorragende Kombination aus Push-Pull und reinen OTL Verstärkern. Pro Kanal werden jeweils sechs Zeilenendröhren PL504 verwendet, die von den resultierenden Anodenströmen gut zusammenpassen sollten. Passen diese nicht zusammen oder laufen die Werte nach einiger Zeit zu weit auseinander ergibt sich ein nicht zu korrigierender Offset am Verstärkerausgang. Das gleiche gilt übrigens ebenfalls für die reinen OTL Verstärker Graaf GM20 oder GM200. Die legendäre GM200 mit ihren 16 Stück PL504 pro Kanal ist ein beeindruckender Verstärker, dessen Betrieb ich aufgrund des Stromverbrauchs aber nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Zudem finde ich es aufwändig genug insgesamt 12 Endröhren unter Kontrolle zu behalten. Bei 32 Stück würde ich nicht mehr zum Musikhören kommen und könnte ich aufgrund der enormen Wärmeentwicklung den Verstärker im Sommer wahrscheinlich nicht betreiben.
Bedauerlicherweise kann ein Multimeter bei den "großen Graaf Endstufen" gleich neben dem jeweiligen Gerät belassen werden:
Bei Betrieb innerhalb der Herstellervorgaben gilt diese Endstufe als eine der klanglich besten überhaupt. Genau dort liegt jedoch gleichzeitig auch der Schwachpunkt. Vermutlich werden (unbewusst) mehr als 95 % dieser Geräte weit außerhalb der Spezifikationen betrieben - was sich zum einen geringfügig klanglich, zum anderen aber besonders negativ auf die Lebensdauer der Endröhren auswirkt. Einmal jährlich Bias & Offset manuell nachstellen ist keinesfalls ausreichend. Ich empfehle daher diese Verstärker "unten offen" / zugänglich zu betreiben und bei täglicher Nutzung mindestens einmal in der Woche die Werte zu prüfen bzw. nachzustellen. Die Einstellprozedur ist allerdings alles andere als selbsterklärend. Bias, Offset und resultierende negative Gittervorspannungen und Anodenströme der PL504 ändern sich in direkter Abhängigkeit zueinander. Mit etwas Übung ist die Arbeit jedoch in fünf Minuten erledigt.
Gekauft habe ich meine GM100 mit der damaligen Verkäuferaussage es seinen neue Endröhrensätze PL 504 verbaut und von einer Fachwerkstatt eingestellt worden. Was darauf folgte war eine lange Suche nach Experten die sich mit diesen Geräten wirklich auskennen. Die Anodenströme der einzelnen PL504 stimmten überhaupt nicht mit den Herstellervorgaben überein, die Endstufe hatte entsprechend kaum Ausgangsleistung. Bei Graaf in Italien im schönen Modena ist leider kaum noch jemand zu erreichen und der geniale Konstrukteur Giovanni Mariani im wohlverdienten Ruhestand. Fündig wurde ich am Ende in Skandinavien wo es eine größere Graaf-Fangemeinde gibt. In Deutschland war die Suche trotz guter Kontakte in die Branche erfolglos und teilweise leider mit "Lehrgeld" verbunden. Die größte Enttäuschung war dabei ausgerechnet ein angesehener norddeutscher Hersteller von OTL Verstärkern.
Sollte doch einmal eine der Endröhren kaputtgehen, kann eine Vorselektion der PL504 mit Hilfe jedes Röhrentesters erfolgen. Das geht z.B. relativ preiswert bei BTB Elektronik oder mit Hilfe eines ortsansässigen "Röhrendoktors". Die endgültige Selektion gut zusammenpassender PL504 sollte dann jedoch im Gerät selber erfolgen - mit dem Ziel möglichst gleicher Anodenströme innerhalb eines sechser Sets.